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„Ich habe schon mal eine Cola-Dose und eine Banane abbekommen.“ Mitarbeiter der Autobahnmeistereien der Region sorgen für sichere Straßen. Wir haben zwei von Ihnen zum Interview getroffen.

Ein Uni-Projekt von Felix Bernhard, Selina Kieltsch und Constanze Sedlatschek

Im Jahr 2018 sind laut Statistischem Bundesamt 396 018 Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt worden und 3 275 ums Leben gekommen. Und bei einem Großteil solcher Unfälle auf deutschen Autobahnen sind – neben Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten – auch Mitarbeiter der Autobahnmeisterei im Einsatz. Oft werden sie kaum bemerkt – aber manchmal sogar beschimpft.

Die folgende Grafik zeigt die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr – aufgeteilt nach Bundesländern im Jahr 2018 (Daten für 2019 noch nicht vorhanden). Die Daten wurden erhoben vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat.

Die Beschäftigten der Autobahnmeisterei setzen täglich – wie sie im Interview berichten – ihr Leben aufs Spiel, damit Autofahrer sicher ans Ziel kommen. Doch wer sind die Menschen in der orangefarbenen Arbeitskleidung? Welchen Gefahren sind sie im Berufsalltag ausgesetzt? Streckenwart, André Fritsch, und Straßenwärter, Christian Langer, von der Autobahmeisterei Rüsselsheim sprechen über: den Arbeitsplatz Autobahn.

In der folgenden Bildergalerie sehen Sie Impressionen aus dem Alltag der Autobahnmeisterei Rüsselsheim.

Interview mit André Fritsch

André Fritsch arbeitet für die Autobahnmeisterei in Rüsselsheim. Nachdem er 2010 seine Karriere im hessischen Solms begonnen hatte, ist er seit Oktober 2019 in Rüsselsheim als Streckenwart für die Erkennung, Aufnahme und Beseitigung von Straßenschäden und Gefahrenstellen zuständig. Dabei steht er in enger Absprache mit seinem Kolonnenführer Michael Theis.

Was sind Ihre Aufgaben als Streckenwart?

„Zu meinen Aufgaben gehört die tägliche Kontrolle der Autobahn, also der Fahrbahn selbst, sowie der Nebenanlagen, der Parkplätze, unserer Rollwegbrücken – auf der A3 zum Beispiel. Das sind so die Hauptaufgaben. Dazu kommt noch die Reparatur von Kleinbeschilderung, Verkehrszeichen, Leitpfosten. Wir nehmen Unfallschäden auf, gewährleisten die Verkehrssicherheit im Allgemeinen und stimmen alles, was so ansteht, mit unserem Kolonnenführer Michael Theis ab.“

Wenn es draußen hart auf hart kommt, dann hält man zusammen – dann muss man zusammenhalten."

Welche Eigenschaften sollte ein guter Streckenwart mitbringen?

„Er sollte auf jeden Fall flexibel sein. Gerade im Winterdienst oder bei Unfällen ist Spontanität nötig. Belastbar sollte man sein, weil die Arbeit gerade auch psychisch durchaus belastend ist, wenn man zum Beispiel draußen beschimpft wird, weil man Stau verursacht. Man sollte zum Anderen aber natürlich auch körperlich belastbar sein, um bei Wind und Wetter draußen stehen und schwere körperliche Arbeit leisten zu können. Teamfähigkeit ist ebenfalls wichtig. In den meisten Fällen arbeitet man in der Kolonne, da sollte man sich aufeinander verlassen können und natürlich auch selbst nach dem Team schauen; gerade wenn es um die Absicherung geht. Wenn es draußen hart auf hart kommt, dann hält man zusammen – dann muss man zusammenhalten – und dann klappt das auch.“

Die folgenden Grafiken zeigen (1) die Zahl der Getöteten und Verletzten im Straßenverkehr in Deutschland in den Jahren 2018/19 (Daten für 2019 nur von Januar bis August) sowie (2) die Zahl der Getöteten und Verletzten im Straßenverkehr in Deutschland von 1998 bis 2018.

Sind Sie sich immer noch dem Risiko bewusst, dem Sie täglich ausgesetzt sind oder vergisst man das mit der Zeit?

„Es kommt ein bisschen darauf an, in welcher Position man sich befindet. Als Straßenwärter ist man mit Absperrband und Lkw unterwegs und allein dadurch besser abgesichert, wobei man sich als Streckenwart mit einem kleinen Auto auf der Standspur bewegt und wenn man dort dann steht und die Lkw an einem vorbeirauschen, ist das Risiko dann doch schon etwas höher und man guckt lieber zweimal. Man weiß eben als Streckenwart, man hat sonst keinen mehr hinter sich, der einen absichert.

Vor einigen Jahren bin ich auch mal angefahren worden. Da war einer, der hat die Vollsperrung missachtet und ist zwischen den Leitkegeln in die Baustelle reingefahren. Der hat mich dann am Knie erwischt, aber dabei wurde damals zum Glück nur eine Sehne angerissen. Der Verursacher war über alle Berge. Das sind halt so die negativen Seiten.“

Wie viele Straßenwärter gibt es in Deutschland?

In Deutschland gibt es laut  „Runter vom Gas“, eine Kampagne des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und des Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), rund 30.000 Straßenwärter. In Hessen sind es 1.400 Mitarbeiter in 60 Autobahn- und Straßenmeistereien.

Was verdient ein Beschäftiger der Autobahnmeisterei?

Das monatliche Salär eines Beschäftigten der Autobahnmeisterei liegt  laut der Gewerkschaft Verdi zwischen 2479 und 2733 Euro Brutto.

Wie sieht das Berufsrisiko im Vergleich zu anderen Branchen aus?

Das Risiko eines Arbeitsunfalls für Straßenwärter ist laut „Runter vom Gas“ 13 mal höher als in anderen Gewerben.

Mit welchem Gefühl gehen Sie zur Arbeit? Sind Sie angespannt bei dem Gedanken, dass etwas passieren könnte und Sie zu einem Einsatz fahren müssen?

„Ja, das kann man schon so sagen. Man weiß eben nie, was einen erwartet, weil jeder Tag neu ist, anders ist. Wir kommen ja auch oft zu Unfällen, bei denen man vorher nicht wirklich planen kann. Oder es ruft die Polizei an und teilt uns einen weiteren Fahrbahnschaden, ein umgefahrenes Schild oder eben einen Unfall mit. Aber genau das macht es ja für mich aus; dass es jeden Tag spannend ist, man nicht täglich das Gleiche, die gleiche Bewegung macht.“

Finden Sie, dass Ihr Beruf ausreichend wertgeschätzt wird?

„Nein, gar nicht. Wenn wir zum Beispiel mal in der Presse sind, dann wird immer nur das Müllsammeln in den Vordergrund gestellt. Egal wo man schaut: „Müllsammeln und Straßenkehren“ – klar ist das und zum Beispiel die Entwässerung, also zu verhindern, dass Wasser auf der Fahrbahn steht, wichtig, aber es gibt so vielmehr, was wir täglich machen als Müllsammeln. Auch gerade wenn irgendwo eine Unfallstelle ist und wir sind dann die letzten, die dort ankommen und alles aufräumen und sauber machen, da heißt es dann in den Meldungen immer nur „Polizei und Feuerwehr haben die Unfallstelle geräumt“, aber dass wir auch draußen waren, erfährt kein Mensch.“

30000
Straßenwärter in Deutschland

Stoßen Sie oft auf fehlendes Verständnis bei den Verkehrsteilnehmern?

„Ja, es versteht niemand so wirklich, was wir machen. Wir arbeiten ja nicht gegen die Verkehrsteilnehmer, sondern für die Verkehrsteilnehmer und das verstehen die meisten einfach nicht. Also egal ob es einen Unfall gab oder eine Ölspur auf der Fahrbahn; das sind alles Sachen, die dringend gemacht werden müssen. Wenn wir dort mit Gelblicht ankommen, sagt das den meisten erst einmal gar nichts. Da ist dann wirklich wenig Verständnis da. Da wird man dann auch mal angehupt oder bekommt den Mittelfinger gezeigt. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt.“

Interview mit Christian Langer

Christian Langer ist seit 2007 Teil des – wie er selbst sagt – „orangen Vereins“. Nach einem Praktikum in Diedenbergen beginnt er seine Ausbildung bei der dortigen Autobahnmeisterei. Seit 2016 ist er als Straßenwärter in Rüsselsheim täglich auf der Autobahn unterwegs.

Was sind Ihre Aufgaben als Straßenwärter? Was gefällt Ihnen daran besonders gut?

„Die Vielseitigkeit. Eigentlich machen wir jeden Tag das Gleiche, aber immer woanders. Es geht über den Sommerdienst mit Mäharbeiten, über den Winterdienst mit Räumen und Streuen, Schlagloch beseitigen. Asphaltarbeiten, Gehölzpflege; Bäume fällen. Sei es Betonieren, sei es Pflastern, Schilder setzen.“

Dafür braucht man dann aber auch eine Ausbildung, oder?

„Die Ausbildung ist vielmehr auf das Rechtliche bezogen. Wobei natürlich auch ein gewisses Geschick dazu gehört, zum Beispiel mit Maschinen. Das kann nun mal nicht jeder. Das ist eine Koordination zwischen Hand, Kopf und Fuß, und wenn das nicht gleichzeitig funktioniert, hast du 500.000 Euro geschrottet.“

Gibt es spezielle Unterweisungen für einzelne Aufgaben – beispielsweise für den Winterdienst?

„Wir haben jedes Jahr zu Beginn der Saison eine interne Winterdienstunterweisung. Da haben wir dann die ganzen rechtlichen Vorschriften und auch eine Präsentation, wo genau drauf steht, wie man richtig ein- und auszusteigen hat, gerade bei Schneefall oder bei vereisten Trittbrettern. Und dann gibt es nochmal das gleiche in der Praxis. Wie funktioniert der Streuer? Wie funktioniert das Bedienpult? Wie setze ich den Streuer auf den Lkw? Wie mache ich die Motorsäge an? Ein „Ei Gude, ich mach mal“, ist nicht. Die Unterweisung ist jedes Jahr Pflicht.“

Welche Eigenschaften sollte ein guter Straßenwärter Ihrer Meinung nach mitbringen?

„Belastbarkeit. Wir sind immer körperlich eingespannt und bei Wind und Wetter draußen. Das kann nachts oder am Tag sein. Das können auch mal 10-12 Stunden am Stück sein. Es können auch mal 14 Stunden sein, das ist dann aber meistens bei Unfällen der Fall.“

Ich habe schon mal eine Cola-Dose und eine Banane abbekommen."

Finden Sie, dass Ihr Beruf ausreichend wertgeschätzt wird?

*Lautes Lachen* „Nicht im Geringsten. Man wird angehupt, es kommen Beleidigungen oder es werden Mittelfinger gezeigt. Je nachdem wie lange Staus sind, kommen auch mal Sachen geflogen. Ich habe schon mal eine Cola-Dose und eine Banane abbekommen. Meiner Meinung nach ist das reiner Egoismus der Autofahrer.

Wir sind ein Verkehrshindernis, das ist Punkt eins. Dass kaum einer von der Bevölkerung da draußen weiß, was wir machen, das ist der nächste Punkt. Weil die Menschen einfach nicht darüber nachdenken, wie die Autobahn ohne uns aussehen würde. Man könnte dagegen ein bisschen was machen, wenn man mehr in die Werbung ginge. Andere Bundesländer sind da deutlich weiter als wir in Hessen. Zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz. Inwieweit man das dann wirklich an die Öffentlichkeit bringen kann, ist die Frage.“

Gab es in Ihrem bisherigen Berufsleben ein prägendes Ereignis?

„Ja, wir hatten in Idstein direkt vor der Meisterei einen Verkehrsunfall. Da war ein junger Ungar mit seinem Auto unter einen Lkw geraten. Wir sind also raus, um die rechte Spur zu sperren. Als ich am Dienstfahrzeug vorbeilaufe, sehe ich einen anderen Lkw auf mich zukommen. Der hat zwar gebremst, allerdings ist nur das Zugfahrzeug  gerade geblieben und der Anhänger ausgeschert und direkt auf mich zugekommen. Ich stand da, mit ein paar Verkehrshüten in der Hand, und wir haben uns in die Augen gesehen und ich dachte „Jetzt ist es vorbei“. Er kam noch rechtzeitig zum Stehen. Ich habe mich dann noch zu dem Autofahrer gesetzt und habe versucht, ihm gut zuzureden. Er hat nur noch geröchelt. Zehn Minuten nachdem der Notarzt eingetroffen war, erfuhr ich dann, dass er tot ist.

Da muss man sich dann sagen: Es ist der Job, es ist einfach nur der Job. Unfallstellenabsicherung gehört dazu. Es ist heftig, es ist schlimm und es geht auch teilweise an die Substanz, gerade wenn man schreiende Kinder hört: ,, Mama ist tot, Mama ist tot“ . Man ist irgendwann an dem Punkt wo man sagt es ist schlimm, aber es ist nicht meine Familie. Natürlich ist es ein Schicksal, aber ich muss hier meinen Job machen.“

Die folgende Grafik zeigt, wie sich die Zahl der in Deutschland im Straßenverkehr getöteten Menschen seit 1953 entwickelt hat. Hinter den Plus-Symbolen, die sich per Klick öffnen lassen, verbergen sich die Gründe, die das Statistische Bundesamt für diese Entwicklung ausgemacht hat.

Dieses Projekt wurde von Studierenden als Abschluss der Lehrveranstaltung „Journalismus als Beruf“  im Bachelor-Studiengang Publizistik konzipiert, recherchiert und produziert. Für diese Lehrveranstaltung kooperieren die VRM und das Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.