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Vor allem Frauen sind fasziniert von dem Genre True Crime. Wieso füllen gerade sie ihre Freizeit mit Totschlag und anderen Gewaltverbrechen?

Ein Multimedia-Projekt von Jessica Fritsche, Arieta Mujedini, Mona Rieger, Linda Schmitz und  Hannah Sturm 

“… Es war schon dunkel als sie die Wohnung ihrer Freundin verließ und den Heimweg durch den Stadtpark antrat. Die Ermittler vermuten, dass der Täter dort auf sie aufmerksam wurde und die Verfolgung aufnahm…” Solche Szenen sind waschechten True-Crime-Fans nur allzu bekannt. Ironischerweise wird derartiger Content in genau solchen Situationen konsumiert: Podcasts auf dem Nachhauseweg, Bücher in der Bahn und Serien nachts allein in der Wohnung.  

True Crime hat sich in den vergangenen Jahren besonders für Frauen als beliebtes Genre etabliert. Und auch wenn die Geschichten ernst sind – es bleibt eine weit verbreitete Form der Unterhaltung. Egal welche Entertainment-Plattform geöffnet wird, True Crime ist immer stark vertreten.  Warum wächst das Publikum stetig und was verleitet vor allem Frauen dazu, sich teils brutalste Verbrechen in den eigenen Alltag zu holen?

Was genau ist eigentlich True Crime?

True-Crime-Formate handeln von realen Kriminalfällen. Meistens geht es bei diesen Fällen um Verbrechen wie Mord, Totschlag oder andere Gewalttaten. Das Genre existiert bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Vor allem mit dem Podcast-Hype in den 2010ern hat es noch einmal neu an Beliebtheit gewonnen. Es geht also um den Entertainmentfaktor von Obszönität und Grausamkeit. Oft liegt der Fokus auf den Tätern, ihrer Vita und Erlebnissen, sowie dem Vorgehen der Ermittler, die das Verbrechen aufklären.

Frauen sind die Hauptkonsumenten von True-Crime-Formaten, wie eine Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2022 zeigt.

In unserer Gesellschaft bekommen Kinder schon früh beigebracht, keinen Fremden zu vertrauen.  Für Frauen endet dieses Misstrauen nie: Nicht alleine nach Hause laufen, auf gut beleuchteten Straßen bleiben, das Getränk im Auge behalten, Freunden den Standort teilen und das Pfefferspray nicht vergessen. Jeder Bereich des Lebens birgt potenzielle Gefahren. Da Frauen in genau diesem Bewusstsein leben, erscheint es umso merkwürdiger, dass grade sie den Großteil des True-Crime-Publikums ausmachen. Bei genauerer Betrachtung dieses Phänomens fühlt sich das allerdings gar nicht mehr so weit hergeholt an. 

Warum sich gerade Frauen so für True Crime begeistern, ist größtenteils noch unerforscht. Dennoch gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Hier zwei Expertenmeinungen:

Prof. Dr. Leonard Reinecke
Medienpsychologe an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz:
Frauen wird häufig mehr Empathie zugeschrieben. Für Sie ist die Identifikation mit den Opfern in True-Crime-Formaten daher unter Umständen besonders reizvoll. Außerdem haben sie im Vergleich zu Männern häufig größere Sorge, selbst Opfer von Verbrechen zu werden. True-Crime-Formate ermöglichen es, sich mit dieser Angst gefahrlos auseinanderzusetzen. Mögliche Folgen davon können aber sein, dass diese Formate ein falsches Bild von der Realität vermitteln. Man überschätzt möglicherweise die Häufigkeit schwerer Verbrechen.
Theresa Eickhoff
Digitalreporterin mit Schwerpunkt Audio bei der VRM und Mitarbeiterin am hauseigenen True-Crime-Podcast „Abgrundtief“: Die Auseinandersetzung mit realen Verbrechen hilft Frauen dabei, sich sicherer zu fühlen. Man erhofft sich vielleicht, die Denkweise von Kriminellen verstehen zu können und die eigene Angst dadurch verringern zu können.

Der Grund sich mit True Crime zu beschäftigen ist für jede Frau ein anderer. Die Vorlieben, Interessen und Beweggründe generell sind immer höchst individuell. Sie alle eint aber, dass sie sich gerne von dem Genre True Crime unterhalten lassen. 

Beim Öffnen der gängigen Entertainment-Plattformen stößt man direkt auf eine Vielzahl von True-Crime-Angeboten. Egal, ob Serien, Filme oder Podcasts. Aber was macht eigentlich den großen Unterhaltungsfaktor von Mord und Totschlag aus? Das Ganze beginnt schon beim Tatort am Sonntagabend: Spannende Erzählungen, faszinierende Fälle, klares Erkennen von Gut und Böse und die Möglichkeit beim Lösen des Falles mitzufiebern.  

Da es sich bei dem True-Crime-Genre – anders als beim Tatort – um echte Fälle handelt, steigt das Interesse des Publikums an. Ähnlich wie bei Unfällen auf der Autobahn bringt die Faszination für das Morbide die Menschen dazu, nicht wegschauen oder -hören zu können. Diese riskanten und aufreibenden Situationen lösen Gefühle und Hormone aus, die im Alltag oft nicht zugänglich sind. Um ein ähnliches Hoch zu erlangen, besuchen andere regelmäßig den Freizeitpark.  

Wenn wir True-Crime-Podcasts hören, schlüpfen wir selbst in die Rolle von Reporter:innen oder Polizist:innen.

Theresa Eickhoff

Oft liegt der Fokus von True Crime auf den Ermittlungen, dadurch besteht die Möglichkeit zum Miträtseln. Wer war der Täter? Folgen die Ermittler gerade der richtigen Spur? Damit öffnet sich eine ganz neue Ebene, die der Interaktion. Dieses Auseinandersetzen mit dem Fall kann unterschiedlich aussehen: Während die einen zu Profi-Ermittlern werden, fangen andere an, die Täter zu glorifizieren. Vor allem visuelle Erzählungen können dazu führen, dass das Publikum eine einseitige persönliche Beziehung zum Täter aufbaut und mitfühlt. Es ist wichtig zu sagen, dass das aber ein Randphänomen ist, welches sich überwiegend in den sozialen Netzwerken abspielt.

Hier die Top-Suchergebnisse zum Thema True Crime auf den gängigsten Plattformen (Stand: 18.01.2023):

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1. Catching Killers 2. American Murder 3. Unsolved Mysteries
1. True Crime Daily 2. Buzzfeed Unsolved 3. Real Storys
1. Verbrechen (Zeit Online) 2. Mordlust (Paulina Krasa & Laura Wohlers) 3. Mord auf Ex (Leonie Bartsch & Linn Schütze)

True Crime hat sich in den vergangenen Jahren fest als Genre etabliert und wächst immer weiter. Studien und Untersuchungen zu dem Thema sind hingegen noch selten. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Datenlage zum Thema True Crime weiter wächst. Doch bei aller Faszination für menschliche Abgründe und das Böse sollte man nicht vergessen, wofür das „True“ in True Crime steht. Es geht um echte Verbrechen an realen Personen unter denen die Angehörigen teils heute noch leiden. Es ist daher notwendig, an die Privatsphäre der Beteiligten zu denken. Jeder kann zum Opfer werden und würde sich einen angemessenen Umgang mit den eigenen traumatischen Erlebnissen wünschen. Das soll nicht bedeuten, dass jeder jetzt Gefahr läuft, als potenzielles Opfer in True Crime Fällen aufzutauchen. Trotzdem können folgende Tipps helfen, sich in eventuell heiklen Situationen ein wenig sicherer zu fühlen.

Sicherheitstipps

1

Keine Menschen über Marketplace oder Ebay Kleinanzeigen zu sich nach Hause lassen.

2

Standort teilen, wenn man nach Hause geht.

3

Bei Car-Sharing das Kennzeichen merken.

4

Autotüren von innen schließen.

5

SOS am Mikrofon klopfen für Polizeikontakt oder die IOS SOS-Funktion nutzen.

Dieses Projekt wurde von Studierenden als Abschluss der Lehrveranstaltung „Journalismus als Beruf“  im Bachelor-Studiengang Publizistik konzipiert, recherchiert und produziert. Für diese Lehrveranstaltung kooperieren die VRM und das Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Fotos: Background Studio; Gina Sanders;Photographee.eu alle stock.adobe.com