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Die meisten Menschen benutzen soziale Medien täglich, unterschätzen dabei aber ihre Nutzungsdauer. Wann wird die Nutzung krankhaft, was sind die Folgen und was lässt sich dagegen tun?

Eine Multimedia-Story von Rameen Sahi und Mathis Sieblist

Soziale Medien gehören zum Alltag von etwa 3,6 Milliarden Menschen weltweit. Sie bezeichnen die „Gesamtheit der digitalen Technologien und Medien, über die Nutzerinnen und Nutzer miteinander kommunizieren und Inhalte austauschen können“. Dazu zählen Plattformen wie Instagram, Facebook, YouTube, Snapchat, TikTok und WhatsApp, die heutzutage kaum noch wegzudenken sind. Sie ermöglichen die Kommunikation und Vernetzung mit der ganzen Welt und bieten nahezu endlose Unterhaltungsmöglichkeiten. Doch das ständige Vorhandensein und Nutzen von sozialen Netzwerken hat auch seine Kehrseite, denn die übermäßige Nutzung kann Probleme mit sich bringen.

Allgemeine Zahlen zur Nutzungszeit

Im Durchschnitt werden Handys 3 Stunden und 15 Minuten am Tag genutzt. Davon werden 2 Stunden und 24 Minuten, also etwa dreiviertel der gesamten Nutzungszeit, auf sozialen Medien verbracht.

Eine Studie der DAK stellte bei 3,2 Prozent der 10 bis 17-Jährigen in Deutschland einen problematischen Umgang mit sozialen Medien fest. In absoluten Zahlen sind demnach etwa 171.200 Kinder und Jugendliche betroffen. 8,2 Prozent, also circa 438.700 Kinder und Jugendliche weisen eine riskante Nutzung auf. Ihre Nutzungszeit steigerte sich werktags unter dem Corona-Lockdown sogar um etwa 66 Prozent und kletterte von täglichen 116 auf 193 Minuten. Wann kann jedoch von einer Abhängigkeit gesprochen werden?

Definition des Suchtbegriffes

Der deutsche Mediziner Klaus Wanke definierte den Begriff der Sucht als „unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand“, dem „die Kräfte des Verstandes untergeordnet werden“. Beim Suchtbegriff würden die Meisten in erster Linie an stoffgebundene Süchte denken, zum Beispiel Alkohol, Medikamente und sonstige Drogen. Aber unter diese Definition fällt auch Spiel-, Computer- und eben Internetsucht. Dr. Wiebke Schultheiß, Suchttherapeutin bei der Arbeitsgemeinschaft gegen Suchtverfahren, erklärt vereinfacht, wie es im Gehirn zur Abhängigkeit kommt: 

Dinge wie Sport oder Essen beeinflussen den Ausstoß von Dopamin, dem Glückshormon, im Gehirn. Drogen, Medien und weitere Suchtmittel steigern diesen "Dopaminspiegel" aber so sehr, wie der Körper ihn gar nicht herstellen kann. Das Problem ist dabei, dass das Gehirn diese Menge abspeichert. Wird die Nutzung der Suchtmittel reduziert, entsteht ein 'Craving', also ein Verlangen, weil das Gehirn wieder die erhöhte Menge an Dopamin möchte. Das erklärt das Verhalten des Suchtdruckes, der sich durch körperliche und psychische Abhängigkeit äußert.

Dr. Wiebke SchultheißSuchttherapeutin bei Arbeitsgemeinschaft gegen Suchtgefahren, Schwalbach am Taunus

Symptome einer Sucht

Es gibt vielerlei Symptome, die auf eine Sucht hinweisen können: Der Körper gewöhnt sich bei häufiger Einnahme an das Suchtmittel und die Betroffenen spüren einen inneren Zwang, der Aktivität nachzugehen. Sie setzten die Nutzung fort, obwohl sich durch den weiteren Gebrauch deutliche Konsequenzen zeigen. Somit haben sie keine Selbstkontrolle über ihre Nutzung. Andere Aktivitäten, wie Hobbys, werden dafür vernachlässigt. Vor allem beim Versuch, von der Sucht wegzukommen, zeigen sich körperliche Schwierigkeiten in Form von Entzugssymptomen.

Methoden der Social-Media-Unternehmen

Wie können Social-Media-Seiten eigentlich kostenlos sein? Instagram, YouTube und Co. sind schließlich Unternehmen und sind wie jedes andere daran interessiert, ihren Profit zu erhöhen. 

Ermöglicht wird das dadurch, dass die Plattformen von Werbetreibenden bezahlt werden. Dafür werden den Nutzern immer wieder die Anzeigen eben dieser Werbeunternehmen gezeigt. Der Nutzer — oder eher seine Aufmerksamkeit — ist im Grunde das „Produkt“, welches an die Werbeunternehmen verkauft wird. Das Ziel von sozialen Medien ist demnach, die Menschen so lange wie möglich auf ihren jeweiligen Seiten zu halten, und sie zum Wiederkommen zu bewegen. Eine Methode dafür ist beispielsweise das endlose Scrollen, bei dem nicht auffällt, wie viel Zeit vergeht. Oder die Pull-To-Refresh-Aktion, die den Nutzer immer mit etwas Neuem belohnt. Sie funktioniert wie die Spielautomaten in Casinos. Die Benachrichtigungen und der Like-Button bei Facebook und Instagram setzten außerdem das gesteigerte Dopamin frei, welches schließlich abhängig machen kann.

Folgen

Negative Auswirkungen einer Sucht können sein: Ich kann meiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Ich habe keine Freunde mehr. Ich distanziere mich. Ich bin nur noch mit dem, was meine Sucht ausmacht, beschäftigt.

Dr. Wiebke SchultheißSuchttherapeutin bei Arbeitsgemeinschaft gegen Suchtgefahren, Schwalbach am Taunus

Oft denkt man bei den Folgen von sozialen Medien vor allem an deren Vorteile, wie Vernetzung, Wissensaustausch, Identitätsentwicklung, barrierearme Kommunikation, Aufbau und Erhaltung von Kontakten und schnelles Feedback. Wenn die Nutzung nun aber pathologisch, also krankhaft wird, kann das zu schlimmen Konsequenzen führen. Menschen, die abhängig von sozialen Medien sind, vernachlässigen häufiger ,,echte“ Sozialkontakte, wie Freundschaften oder Zeit mit der Familie, bekommen oft zu wenig Schlaf, verkürzen ihre Aufmerksamkeitsspanne und können sogar psychische Probleme bekommen.

Nach: RPSH(Royal Society for Public Health)

Besonders für jüngere Menschen kann eine missbräuchliche Social Media-Nutzung negative Folgen haben. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die ein suchtartiges Social Media-Verhalten aufweisen, leiden deutlich häufiger auch an Depressionen. In einer älteren Studie der DAK Gesundheit wurde etwa festgestellt, dass mindestens ein Drittel der Jugendlichen mit einer „Social-Media-Sucht“ ebenfalls über Symptome von Depressionen berichtet. Wiebke Schultheiß weist darauf hin, dass Abhängigkeit selten allein auftritt, sondern, dass sie oft mit psychischen Erkrankungen einhergeht, beziehungsweise, dass Menschen mit psychischen Vorerkrankungen von vornherein eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, eine Social Media-Abhängigkeit zu entwickeln.

Lösungsansätze

Was ist also zu tun, wenn man bei Freunden, Familienmitgliedern oder sich selbst eine Social Media-Sucht vermutet? Wie bei anderen Abhängigkeiten ist auch hier eine starke Willenskraft gefordert. Im Gegensatz zu anderen Süchten, stellt sich bei den sozialen Medien die Herausforderung, dass in der heutigen, vernetzten Welt, häufig keine komplette Abstinenz möglich ist. Anders als beispielsweise Zigaretten, lässt sich das Internet nicht konsequent aus dem Alltag streichen, da man es zum Beispiel für den Beruf benutzt. Das realistische Ziel sollte es also sein, sein eigenes Verhalten besser in den Griff zu bekommen, es zu kontrollieren und angemessen zu regulieren.

Bei einer starken Abhängigkeit sollten Betroffene jedoch, wenn die eigenen Maßnahmen nicht helfen, eine Suchtberatungsstelle oder einen Arzt aufsuchen. Wenn auch dadurch keine Besserung erzielt wird, kann sogar die Einweisung in eine Suchtklinik zur Entwöhnungsbehandlung von bis zu 15 Wochen folgen. Dass es bei einer reinen Social-Media-Sucht dazu kommt, ist aber selten.

Prävention

Bei vielen Smartphones gibt es mittlerweile ein vorinstalliertes Programm, welches dafür konzipiert ist, die Nutzungsdauer und das Nutzungsverhalten zu protokollieren. Mit Hilfe dieser, für sich selbst oder seine Kinder, eine maximale Nutzungsdauer pro Tag festzulegen, kann hierbei der erste Schritt zur Vorsorge sein. Nicht nur zeitlich gebundene Spielregeln zur Nutzung können helfen. Auch ortsgebundene Regeln wie „kein Smartphone im Bett“ oder „kein Smartphone im Esszimmer“ können den ständigen Konsum wirksam reduzieren. Weitere, kleinere digitale Tricks, wie die Aktivierung von Graufarben auf dem Bildschirm zur Schlafenszeit oder die Deaktivierung von Push-Nachrichten können zusätzlich helfen.

Unsere Autoren haben den Selbsttest gemacht und erhoben, wie viel Minuten sie pro Wochentag vor dem Bildschirm verbringen. 

Wenn diese Maßnahmen jedoch wiederholt scheitern und die Nase wie von Zauberhand immer wieder vor dem Bildschirm landet, ist wohl die Deinstallation der Social Media-Apps der letzte Ausweg vor der Suchtberatungsstelle.  Dieser „kalte Entzug“ fällt anfangs nicht immer leicht, doch nach einiger Zeit lernt man sich anders und möglicherweise besser zu beschäftigen. Es fällt auf, wie viel Zeit in den sozialen Medien stumpf vergeudet wurde und dass einem offline nicht allzu viel abhandenkommt. Umgekehrt wird jedoch auch ein Schuh draus. Wer nur noch digital lebt, vergisst, dass es da draußen noch eine reale Welt zu entdecken gibt, die abhanden gehen kann.

Dieses Projekt wurde von Studierenden als Abschluss der Lehrveranstaltung „Journalismus als Beruf“  im Bachelor-Studiengang Publizistik konzipiert, recherchiert und produziert. Für diese Lehrveranstaltung kooperieren die VRM und das Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.