24 Stunden am Tag ist ihre Garage für Bedürftige geöffnet: Christine Gölz organisiert fast 30 Leute, die jeden Abend Lebensmittel vor dem Müll bewahren. Was treibt die Lebensmittelretterin aus Osthofen an und was hat ein Basketballkorb damit zu tun?
Ein Uni-Projekt von Katrin Bartmann, Celine Gollan, Annika Hofmann, Lena-Marie Lorenz und Ina Welter
Jedes Jahr werden laut Welthungerhilfe allein in Deutschland 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Das entspricht 55 Kilogramm pro Kopf. Das ist so viel, als würde jeder Bürger in Deutschland zwei vollgepackte Einkaufswagen im Wert von 235 Euro einfach in die Tonne werfen.
Solche Fakten schockieren – vor allem in Zeiten des Klimawandels und einer konsumorientierten Gesellschaft, in welcher gleichzeitig 821 Millionen Menschen auf der Erde nicht genug zu essen haben. Da fragt man sich: Was läuft da schief? Und wie können wir dagegen angehen?
Christine Gölz, ehrenamtliche „Lebensmittelretterin“ aus Osthofen, hat sich dieser Problematik persönlich angenommen. Sie setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein – und hilft gleichzeitig bedürftigen Menschen.
(Quelle: Welthungerhilfe)
Im folgenden 360-Grad-Foto können Sie sich selbst in der Garage der Lebensmittelretterin umsehen. Nutzen Sie einfach ihren Finger (wenn sie ein mobiles Gerät benutzen) oder ihre Maus, um die Perspektive zu ändern. Außerdem erhalten Sie durch einen Klick auf die Icons weitere Informationen.
Wie alles mit einem Basketballkorb begann
Durch Zufall wird – wie sie im Interview erzählt – Christine Gölz darauf aufmerksam, dass es sogenannte „Lebensmittelretter“ gibt. Als sie über „Free Your Stuff“ einem Mann einen Basketballkorb schenkt, möchte dieser ihr als Gegenleistung ein Brot schenken, das er zuvor „gerettet“ habe. Der Vater von acht Kindern habe ihr berichtet, wie viele Lebensmittel tagtäglich weggeschmissen werden und dass er versuche, gegen die Verschwendung vorzugehen.
Für Christine Gölz ist die Begegnung der Auslöser, um selbst ehrenamtlich mit der Rettung von Lebensmitteln zu beginnen. Ihre Motivation: Anderen helfen, die Unterstützung im Alltag brauchen. Zunächst handelt es sich nur um ein kleines Projekt. Christine Gölz rettet Lebensmittel, die von den Supermärkten am Ende des Tages sonst weggeschmissen werden würden, teilt dies in einer Facebook-Gruppe und Menschen kommen in ihre Wohnung, um die Lebensmittel abzuholen. Innerhalb kürzester Zeit wächst das Projekt enorm, sodass Christine Gölz ihre Garage ausräumt, um so genügend Raum zu schaffen.
”Ich habe alleine dagestanden mit einem Schränkchen und innerhalb von drei Monaten war das Ding groß. Heute hat die Garage 23 Abholer, wir retten Lebensmittel im ganzen Umkreis.
Christine Gölz
Da trotzdem noch Platz in der Garage ungenutzt blieb, entschied sich Christine Gölz dazu, neben den Lebensmitteln auch Kleidung, Spielzeug und andere Kleinigkeiten in ihrer Sozialgarage unterzubringen. Von Weihnachtsschokolade bis zu Spielzeug für draußen, welches nach Ende der jeweiligen Saison weggeschmissen werden würde, findet man in der Garage alles. Diese ist sowohl tagsüber als auch nachts für jedermann zugänglich, sodass Bedürftige – ungestört und ungesehen – dort jederzeit stöbern können.
Auch rechtlich gesehen sei das Projekt laut Christine Gölz unproblematisch. Denn obwohl privates „Containern“ illegal ist, dürfe sie auf ihrem Grundstück machen, was sie möchte. Durch ihr Projekt habe sie einen berechtigten Grund, Lebensmittel aus den Supermärkten im Umkreis abzuholen bzw. von anderen freiwilligen Helfern abholen zu lassen.
Vom Supermarkt zur Sozialgarage
Doch wie kommen die Lebensmittel in die Garage von Christine Gölz?
Es stehen mittlerweile mehr als 20 Helfer an der Seite von Christine Gölz, um die Lebensmittel von den teilnehmenden Supermärkten abzuholen. „Wir haben feste Zeiten und freie Zeiten, wo wir die Ware abholen können. Das wird uns von den Supermärkten so vorgeschrieben“, erklärt sie. Die Supermärkte sind aber meist morgens so voll, dass Waren eher am Nachmittag und Abend abgeholt werden. Aussortierte Ware gibt es immer, sodass die Helfer jeden Tag die Supermärkte anfahren, um die Lebensmittel „zu retten“. Um die leeren Kisten befüllen zu dürfen, brauchen alle einen Abholausweis. Diesen zeigen sie einem Mitarbeiter des Supermarkts und fahren an die Laderampe, an der sie dann die bereitgestellten Lebensmittel in die Kisten laden können. Zu zweit zu sein, sei immer von Vorteil, da vor allem Obst und Gemüse ziemlich schwer werden können. Wie viele Lebensmittel gerettet werden, ist von dem Wochentag abhängig. An den Wochenenden sind ein bis zwei Schichten gefüllter Kisten eines Kombi-Kofferraums normal. Unter der Woche ist es im Gegensatz dazu etwas weniger.
Eine Helferin erzählt, dass an Feiertagen, wie zum Beispiel an Weihnachten, sogar zwei Mal gefahren werden müsse, da es an diesen Tagen so viel aussortierte Ware gibt. Zu dieser Zeit hätten die Lebensmittelretter fast einen kompletten Bus füllen können. Fast alle Produkte sind noch in gutem Zustand; viele haben bis zu ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum teilweise sogar noch zwei Wochen. Von dem Supermarkt aus fahren die Helfer dann zu der Garage, wo alle geretteten Lebensmittel ausgeladen und einsortiert werden.
Mit der Bildergalerie bekommen Sie einen Einblick in die Arbeit der ehrenamtlichen Lebensmittelretter.
„Das sind dann auch Leute, die Hausverbot bekommen“
Auch wenn das Projekt bei Stadt, Helfern und Umweltschützern gut ankommt, führt es doch einige Schattenseiten mit sich. Durch die immer geöffnete Garage fällt viel Schmutz an, der dann von Christine Gölz selbst oder anderen Helfern beseitigt werden muss. Sogar dreckige Unterwäsche wurde schon bei abgebener Kleidung gefunden oder auch einfach Kleidungsstücke, die niemals mehr tragbar gewesen wären, weil sie in keinem guten Zustand waren. Leider komme es auch vor, dass diejenigen, die nicht sehr auf die kostenlosen Lebensmittel angewiesen sind, sich die Taschen voll machen. Für Bedürftige bleibt dann nicht mehr viel übrig. Doch in diesen Situationen greift Christine Gölz ein: „Das sind dann auch Leute, die Hausverbot bekommen.“
In solchen Fällen scheint es wohl sehr gut zu sein, dass es die private Garage von Christine Gölz ist und sie somit immer einen guten Blick auf alles hat. Doch darf man nicht außer Acht lassen, dass fremde Menschen nun rund um die Uhr Zutritt auf ihr privates Gelände haben. Sie erzählt außerdem, dass sie oft nicht mehr ausreichend Platz in ihrer Biotonne hat, um ihren privaten Müll dort zu entsorgen, da schon viele verdorbene Lebensmittel weggeworfen werden mussten.
Tipps für Zuhause
Dieses Projekt wurde von Studierenden als Abschluss der Lehrveranstaltung „Journalismus als Beruf“ im Bachelor-Studiengang Publizistik konzipiert, recherchiert und produziert. Für diese Lehrveranstaltung kooperieren die VRM und das Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.