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Der Wohnraum wird immer knapper und die Mieten immer höher. Wer im Rhein-Main-Gebiet wohnt, kennt das. Doch es gibt günstigere und spannende Alternativen.

Eine Multimedia-Story von Johanna Dörsam, Johanna Jadwiczek, Paula Kaster, Gloria Tesche und Lea Weingart

Alternativen zur eigenen Wohnung oder gar dem eigenen Haus sind gefragter denn je. Ob Zweck-WG, „Wohnen gegen Hilfe“ oder Selbstversorger – die neuen Wohnmöglichkeiten sind so vielfältig wie ungewöhnlich. Was es mit den neuen Alternativen auf sich hat, welche Vorteile und Nachteile sie haben, was die Mieter selbst darüber denken und welche Wohnmöglichkeit zu Ihnen passen könnte, erfahren Sie in dieser Story. Wir stellen drei vor.

"Wohnen gegen Hilfe"

Aufgrund der steigenden Mietpreise hat sich die Tendenz verstärkt, von der herkömmlichen Miete zu nicht-monetären Alternativen wie Hilfe im Haushalt, bei der Kinderbetreuung oder in anderen Bereichen des Alltags überzugehen.

Beim Konzept des Wohnens gegen Hilfe lautet die Devise: Diversität und Symbiose. Studierende wohnen gemeinsam mit Senioren unter einem Dach, helfen ihnen im Alltag, surfen im Internet und leisten Gesellschaft; junge Alleinstehende helfen berufstätigen Eltern bei der Kinder- und Hausaufgabenbetreuung, wieder andere helfen im Haushalt und bei der Gartenarbeit. Im Gegenzug erhalten sie ein Dach über dem Kopf.

Doch hier wird nicht nur voneinander profitiert. Generationen, Kulturen und Charaktere treffen aufeinander, lernen und erfahren von dem Anderen und finden ihren Platz in einer Gemeinschaft.

So toll das auch klingen mag, die Realität ist oft komplizierter. Auch hier ist der Markt knapp, wesentlich mehr Suchende können ihre Hilfe anbieten, als Wohnraum vorhanden ist. Und günstig ist auch dieser nicht.

Symbolbild: Halfpoint - stock.adobe

Durchschnittlich etwa eine Stunde muss ein Hilfeleistender arbeiten um einen Quadratmeter Wohnraum ohne Nebenkosten zu finanzieren. Diese Zeit muss neben Uni, Arbeit oder Ausbildung erst gefunden werden. Zwar können die Abmachungen hier deutlich variieren, jedoch – auch das Finden einer passenden Wohnung inklusive passendem Partner kann schwierig werden.

Jedoch ist es ohne Zweifel eine gute und vor allem dankbare Methode, den horrenden Mieten in deutschen Städten zu entgehen.

Außerdem – es mag zwar nicht immer einfach sein, aber aufgrund der hohen Beliebtheit dieser Methode, gehen wir mal davon aus, dass es doch für viele eine gute Alternative darstellt.

Einblick in den Alltag einer Berufstätigen-WG

Es ist eine WG im nicht ganz klassischen Sinne. Bewohnt wird die knapp 200 Quadratmeter große Altbauwohnung mitten im Mainzer Zentrum von Marco (48 Jahre), seiner Tochter Emma (13) und Niels (32). Vor knapp vier Monaten sind dann noch die zwei Austauschstudenten Mickel (23) und  Guadalupe (22) aus Madrid eingezogen. Das Highlight der Wohnung ist ein wunderschöner Blick direkt auf den Rhein.

Eine ehemalige Mitbewohnerin hat diese Berufstätigen-WG vor knapp vier Jahren auf der Suche nach Gemeinschaft und Diversität gegründet. Marco hätte sich diese Konstellation früher so nicht vorstellen können, „aber es hat gepasst“. Vor seinem Einzug hatte er in seiner früheren Wohnung kleine Air-B&B-Zimmer eingerichtet und vermietet. Er schaute sich dann aber doch irgendwann nach festen Mitbewohnern und einem geregeltem Miteinander um. Gefunden haben Marco und Emma, die beim Einzug zehn Jahre alt war, ihre jetzige WG, die „nicht altersabhängig“ sein muss, um zu funktionieren. Ein gemeinsames Verständnis vom Zusammenleben ist ihnen das Wichtigste. Dabei bietet dieses Wohnverhältnis allen viele neue Möglichkeiten. Angefangen von der tollen Lage der Wohnung bis hin zum gegenseitigen Austausch. Die Gemeinschaft ist wie eine Art Sprungbrett in vielerlei Hinsicht. Für alle bietet es die Möglichkeit, Neues zu lernen.

Es gibt einem eine bestimmte Lebendigkeit.

Marco

Jeder bringt bei seinem Einzug eine andere Biografie und ein anderes Weltbild mit. Es lockt ein reizvolles Leben, dass bei allen zur jetzigen Lebensphase passt. Niels betont, sich aktiv dafür entschieden zu haben und die Vorteile sowie Bereicherungen sehr zu genießen. Es ist voll geschmückt mit neuen Anregungen, neuen Kontakten und Bekannten. Betiteln könnte man es am besten als „Experience of sharing“.

Mickel und  Guadalupe wurden sofort herzlich in Mainz begrüßt und hatten die Möglichkeit sich, trotz Corona, gut in der neuen Heimat einzuleben. Aber auch die beiden Berufstätigen genießen es, nicht in der eigenen „Bubble“ zu leben und suchen die Abwechslung, die diese WG bietet. Aktivitäten wie gemeinsame Grillabende auf dem Balkon, gemütliches Brotbacken oder Badminton mit der Jüngsten stehen auf dem Programm. So wird man automatisch gegenseitig auf dem Laufenden gehalten.

Sie selbst sehen in der WG den Charakter von Wohnprojekten, jedoch auf einer viel kleineren und unkomplizierteren Ebene. Für Marco ist diese Lebendigkeit auch eine Art Prävention vor Altersstarrsinn. Die Vier weisen jedoch auch darauf hin, dass ihre Art zu leben nicht für jeden geeignet ist. Die WG muss zu den eigenen Lebensumständen passen, aber auch das menschliche Miteinander darf nicht zu kurz kommen.

Selbstversorger – gemeinsam nachhaltiger Leben

Jeder Deutsche produziert in einem Jahr rund eine halbe Tonne an Hausmüll und davon sind knapp 100 Kilogramm reine Lebensmittel. Das macht sich nicht nur im Geldbeutel, sondern auch durch den eigenen ökologischen Fußabdruck bemerkbar. Es scheint so, als würden wir vor lauter Konsum die Arbeit, Energie und Kosten vergessen, die in die Herstellung und den Transport unserer Lebensmittel fließen. Um dem etwas entgegenzusetzen und nachhaltiger zu leben, entschließen sich immer mehr Menschen dazu ihr eigenes Obst und Gemüse anzubauen. Dies kann auf dem Balkon, im eigenen Garten oder in Form von Selbstversorgergemeinschaften geschehen. Die Idee dahinter ist simpel: Es wird das gegessen, was zuvor selbst angebaut oder gefüttert wurde. Auch hier in der Region werden es mehr und mehr Selbstversorgergruppen. Eine davon ist der Weiselhof bei Ingelheim, nicht weit von Mainz entfernt.  

Vor etwa drei Jahren starteten Thomas Hahner und Silke Steinbronn das Projekt und mit der Zeit entstanden Beete, Tiergehege, ein Teich und ein Außenbereich für die gemeinsame Nutzung. Die Bewohner des Hofes führen nicht nur ein nachhaltiges Leben, indem sie Bio-Obst und -Gemüse selbst anbauen, sie produzieren auch einen Großteil des genutzten Stroms selbst und wenn doch mal Essensreste anfallen sollten, werden diese an die Hühner im Garten verfüttert. Auch neue Leute sind auf dem Hof gerne gesehen, dabei kommt es vor allem auf Motivation, Flexibilität und Freude an der Natur und dem Leben in der Gemeinschaft an. Wie am besten saisonal gekocht wird und welche Lebensmittel vielleicht auch weiterhin noch aus dem Supermarkt kommen, wird ganz unkompliziert mit der Zeit gelernt. Im Mittelpunkt steht aber die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsum und der Respekt vor der Natur.

Gemeinschaft bedeutet vor allem ein Füreinander da sein und damit nicht ein Selbst-Versorgen, sondern ein Mit-Versorgen.

Eine Mitbewohnerin des Weiselhofs

Obwohl das Leben auf dem Hof auch seine Schwierigkeiten hat – so sind spontane und lange Urlaubsreisen eher schwer mit dem hohen Zeitaufwand, den der Garten benötigt, zu vereinen – können sich einige Bewohner durchaus vorstellen für immer auf dem Weiselhof zu wohnen und mit ihrer Art zu leben, ein Zeichen für mehr Nachhaltigkeit zu setzen. Wer sich das Leben auf dem Weiselhof mal genauer anschauen mag, kann dies beispielsweise über die Plattform WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms) tun und gegen Kost und Logis einige Woche auf dem Hof mitarbeiten. 

Und welcher Wohntyp sind Sie? Machen Sie hier unser Quiz und finden Sie es für sich heraus!


Dieses Projekt wurde von Studierenden als Abschluss der Lehrveranstaltung „Journalismus als Beruf“  im Bachelor-Studiengang Publizistik konzipiert, recherchiert und produziert. Für diese Lehrveranstaltung kooperieren die VRM und das Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.