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Das Landgericht Wiesbaden sieht sich zum Prozessauftakt am 12. März 2019 einem Ansturm der Prozesszuschauer und der Medien gegenüber. Für Zuschauer gelten verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Gleichwohl kann an einem der Prozesstage die aufgebrachte Mutter einer minderjährigen Zeugin zur Anklagebank stürmen und einen Taschenschirm in Richtung des Angeklagten werfen, verfehlt ihn aber. Nach 16 Verhandlungstagen verkündet die Schwurgerichtskammer ihr Urteil – lebenslange Freiheitsstrafe, besondere Schwere der Schuld und Vorbehalt der Sicherungsverwahrung.  

Die Konfrontation: Susannas Mutter und der Angeklagte

„Mit Susanna ist auch ein Teil von mir gestorben“, sagt die Mutter. Tränen fließen. Auch im Zuschauerraum. Der Mann, der für Susannas Sterben die Verantwortung trägt, guckt unter sich, leicht nach links. Er hört dem Dolmetscher zu. Dessen Übersetzung in die kurdische Sprache Kurmandschi würde der Angeklagte auch verstehen, wenn er seinen Blick auf Susannas Mutter richten würde. Ihrem Blick aber weicht er aus. So wird er es an allen Verhandlungstagen halten. Auch dann, wenn er Sätze formuliert, die er für eine Entschuldigung hält. Dieser Mord lässt sich aber nicht entschuldigen. Die Mutter wiederum sucht bewusst seinen Blick. Sie will, dass ihr der Mörder ihres Kindes ins Gesicht sehen soll. Sie will ihn stellen. Damit er ihre Tränen sieht, ihr Leid, das er angerichtet hat. Susanna sei ein absolutes Wunschkind gewesen, sagt die Mutter. Man hat allenfalls eine ungefähre Ahnung, wie viel Kraft es kosten muss, all die schönen Erinnerungen abzurufen. Wie glücklich man war. Dass es Pläne gab. „Vielleicht habe ich sie manchmal etwas verwöhnt“, sagt die Mutter. „Aber das macht man halt, wenn man sein Kind liebt.“ Sie habe als Alleinerziehende – acht Jahre lang – versucht, ihrer Tochter „doppelte Liebe zu geben“ – Mama und Papa zugleich zu sein.

Der Auftritt im Zeugenstand ist erkennbar Last, es ist aber auch Verpflichtung. Um ein Bild zu zeichnen, das ihre Tochter wirklich zeige, und das so anders ist, als im Vorfeld des Prozess durchgeklungen ist. Und manchmal mehr als nur durchgeklungen. Es ist eine Korrektur, und sie greift den Mann an, der auf der Anklagebank sitzt. Er hat mit dem Verbrechen nicht nur das Kind genommen, er hat sein Opfer auch noch diffamiert – als Schlampe. So hat er alle Mädchen abgewertet. „Ich will ihre Würde wieder herstellen“, sagt die Mutter. Äußerlich unbewegt verfolgt der Angeklagte, wie sich Susannas Mutter quält. Die fehlende emotionale Regung ist nichts, was strafverschärfend wirkt. Dieser Angeklagte scheint zu emotionaler Regung über Opfer und Angehörige nicht fähig zu sein, die Erklärung liegt in seiner Persönlichkeit. Ob er aber mal an seine eigene Mutter gedacht hat, was sie fühlen würde, wenn eine ihrer Töchter ermordet würde? Eine gerechte Strafe gebe es nicht, sagt Susannas Mutter. Denn keine Strafe dieser Welt bringe Susanna zurück. „Das, was meiner Tochter und uns angetan wurde, ist durch nichts wiedergutzumachen. Ich habe bereits lebenslänglich bekommen, obwohl ich keine Schuld trage“, sagte Susannas Mutter.

Die Rückkehr an den Tatort - „Liegt sie da noch?“

Es gibt Aktenbände, tausende von Seiten. Es gibt Fotos und es gibt Videoaufnahmen der Polizei. Aber das Gericht will sich draußen im Gelände in Erbenheim an den Gleisen der Ländchesbahn ein eigenes persönliches Bild vom Tatort machen. Und so klettern sie am Vormittag des dritten Verhandlungstages, am 27. März 2019,  die Böschungen hoch- und runter. Sie schlagen sich durchs Gestrüpp. Der Angeklagte, schwer bewacht, gibt die Richtung an. Hier soll das passiert sein, dort jenes. Die einzig sicher belegbare Stelle ist das Erdgrab. Grab ist beschönigend – Susanna wurde verscharrt. Und an dieser Stelle sind Stunden vor dem Ortstermin des Gerichts Menschen unterwegs gewesen, um eine kleine Gedenkstätte aufzubauen. Die Richter, aber vor allem der Täter, sollen nicht nur eine unscheinbare leichte Vertiefung im Boden vorfinden, eine Anhäufung krümeliger Erde, die man leicht übersehen könnte  – gäbe es da an den Bäumen nicht diese Markierung. Freunde der Mutter haben mit Kerzen, Blumen und einem Bild sichtbar gemacht –  hier wurde die Leiche verscharrt. Die Gedenkstätte macht aus dem anonymen Flecken etwas Persönliches, das einen Namen hat und ein Gesicht. Susanna, 14 Jahre alt.

Was fällt ihrem Mörder ein, als er an der Stelle steht?

Und was fällt ihrem Mörder ein, als er an der Stelle steht? „Liegt sie da noch?“, will er wissen. Und dabei soll er gegrinst haben. Auf dem Rücken seiner hellen Jacke trägt er eine handgemalte Botschaft, groß genug, dass man sie auch aus der Entfernung erkennen kann. So sichtbar, dass sie auch den Fotografen und Kamerateams nicht entgeht. Das ist beabsichtigt. Ein A und ein Herz, dann noch mal ein A. Ali liebt Adel. Eine Botschaft an seine letzte Wiesbadener Freundin.  Was geht in dem Kopf dieses jungen Mannes vor? Adel, die ihn liebte, sich von ihm täuschen und kommandieren ließ, eine zierliche Jugendliche, die der Angeklagte im Grunde doch nur benutzt und ausgenutzt hatte. Nett war er, wenn er seinen Willen durchsetzen konnte. „Ich versuche, diese Person komplett aus meinem Leben zu löschen“, sagt die 17-Jährige als Zeugin.

Von wegen bester Kumpel

Sie waren mal beste Freunde. „Ali ist wie mein Bruder“, sagt Mansoor. Und  noch mehr. Sie waren sogar Komplizen bei Verbrechen. Bei einem schweren Raub im Kurpark, und sie sollen auch eine Elfjährige vergewaltigt haben. Dafür müssen sich der Iraker und Mansoor, sein afghanischer Kumpel, zusammen in einem zweiten Prozess vor dem Landgericht Wiesbaden verantworten.

Ali habe ihm schon wenige Stunden nach dem Verbrechen alles haarklein erzählt.

Mansoor gilt als Jugendlicher. Im Mordprozess „Susanna“ ist er ein Kronzeuge der Anklage. Er belastet den Freund von damals schwer. Das hatte er schon Anfang Juni 2018 bei der Polizei getan. Ali habe ihm schon wenige Stunden nach dem Verbrechen alles haarklein erzählt – die Vergewaltigung, und dass er schon lange hinter Susanna her gewesen sei, dass er unbedingt mit ihr hatte Sex haben wollen. Wenn es sein müsse, dann mit Gewalt. Dann habe Ali das Töten beschrieben. So, wie andere einen schönen Ausflug beschreiben würden. Wie glaubhaft ist einer wie Mansoor, der selbst Verbrechen begangen haben soll? In diesem Punkt sehr glaubhaft, wird die Staatsanwaltschaft später sagen. Das Gericht erlebt zunächst einen Zeugen Mansoor, der zwar alles haarklein bei der Polizei erzählt hat, aber nun in der direkten Konfrontation mit dem Angeklagten im Gerichtssaal herumeiert, nur leise und stockend erzählt. Es wirkt, als würde ihn der Angeklagte mit den Blicken  festnageln wollen. „Los, sag’s mir ins Gesicht!“ Unentwegt sucht der Angeklagte den Blickkontakt.  Und jetzt ist es Mansoor, der den Blicken nicht standhalten kann oder will. Er wirkt eingeschüchtert. Und so kommt es, dass der Angeklagte den Saal verlassen muss und nur noch per Videoeinspielung die Zeugenaussage verfolgen kann. Das nimmt vom Zeugen den Druck, und Mansoor erzählt. Und erzählt. Jedes Detail. Er wirkt wie befreit. „In sich schlüssig“ seien seine Schilderungen, wird das Gericht Wochen später im Urteil befinden. Sie hätten ein „nachvollziehbares Bild ergeben“.

Zwischen Angst, Aufrichtigkeit, Kichern und Rotzigkeit: Junge Zeugen

Es sind verstörende Momente, und es sind zu viele. Da sitzen 13-, 14 -, 15- und 16-Jährige vor den Richtern, und einige lügen. So dreist, wie sie auch schon Susannas Mutter ins Gesicht gelogen haben, als die Verzweifelte im Mai und Juni 2018 Wiesbaden abklapperte – auf der Suche nach einem Lebenszeichen der Tochter. Irgendeine Info müsste es doch geben von denen, die Susanna als ihre „beste Freundin“ bezeichnet hatten. Einige hatten schon am 24. Mai 2018 gewusst, dass ein Verbrechen passiert war. Ihre Auftritte geben Einblick in eine Subkultur, Wiesbaden im Frühjahr 2018. Die Clique – das waren  junge Mädchen, labil und pubertierend, naiv und unerfahren,  auf der Suche nach Anerkennung und Orientierung, einige mit problematischem familiären Hintergrund, und junge Flüchtlinge. Letztere verübten auch Straftaten. Das müssen sie in der Clique eher als prickelnd und damit als Abwechslung empfunden haben. Einigen dieser jungen Zeugen, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, fehlt jeglicher Respekt. Mayar ist einer von ihnen. Er kommt in Begleitung seines vom Jugendamt eingesetzten Amtsvormunds. Mayar ist 16. Und für alle im Saal eine Zumutung. Er lügt schlecht und er macht noch nicht einmal den Versuch, sein dreistes Lügen zu kaschieren. Einer aus der Clique, die im Frühjahr 2018 in der Stadt herumhingen. Redselig ist er nur zu Beginn, da erzählt er davon, dass Kickboxen sein Hobby sei. Es ist ihrer aller Hobby. Kickboxen bringt die Chance, sich auf der Straße durchzusetzen, sich zu behaupten. Mit Gewalt  will man sich Respekt verschaffen. Mayar rückt die Kappe und das Umhängetäschchen zurecht, dann geht er aus dem Gerichtssaal. Das hat ihn nicht gejuckt, dass sein peinliches Verhalten auch eine Beleidigung des Mädchens war, das „beste Freundin“ gewesen sein soll. Es ist ein feiger und lächerlicher Auftritt, auf den er  noch sichtlich stolz zu sein scheint. Das Verbrechen liege ja auch schon so lange zurück, da könne er sich an Dinge einfach nicht mehr erinnern. „Vergessen.“ „Weiß nicht mehr“, hört das Gericht. Man versteht, warum Susannas Stiefvater bei so viel zur Schau gestellter Rotzigkeit wütend aus dem Gerichtssaal stürmt. Die Teilnahmslosigkeit ist schwer zu ertragen. Welche Werte sind diesen Jugendlichen wichtig? Wenige, wenn man zum Beispiel hört, wie beiläufig Osama, ein junger Syrer, von einem schweren Raub des Angeklagten erzählt, den er aus nächster Nähe gesehen hat.

Welche Werte sind diesen Jugendlichen wichtig?

Ali, ein Syrer, 14 Jahre alt, will seine wilden Geschichten dauernd beschwören. Er lacht viel. Seine ältere Schwester begleitet ihn, sie sitzt neben ihm im Zeugenstand. Sie schämt sich erkennbar für das, was ihr Bruder abzieht. Das Gericht schickt ihn schließlich weg – man will sich weitere Lügen ersparen. Weil die Schwester ihren Bruder zur Rede stellt, wird er sauer – vor dem Justizzentrum schlägt er seine Schwester. Einige Wochen später muss der junge Syrer abermals als Zeuge erscheinen, diesmal begleitet ihn eine Anwältin. Und jetzt fällt ihm auch alles wieder ein, was er bei seinem ersten Zeugenauftritt „vergessen“ haben wollte. Wie hatte er seinerzeit gesagt? „Herr Richter, ich schwöre. Ich habe es vergessen!“

Und die Mädchen? Bei einigen aus Susannas Clique hat es nach dem Verbrechen „klick“ gemacht. Sie haben im Nachhinein realisiert, dass auch sie hätten Opfer werden können. Und realisiert, wie groß die Gefahr gewesen ist. Bei der ein oder anderen hatte Susannas späterer Mörder versucht, Kontakt aufzubauen. Einige hatten Angst, das erklärt ihr Verhalten. Weil ihnen gesagt worden war – wenn ihr redet, dann passiert euch das, was Susanna passiert ist. Andere schwiegen aus Gründen, die man Kumpanei nennen könnte. Ihnen schien die Familie des Täters gefühlsmäßig näher zu stehen. Und einer Zeugin, auch sie 14 Jahre alt, schien besonders Ali, Susannas Mörder, nahe zu stehen. Habibi – mein Schatz, nennt sie ihn.

Durchleuchtet - wie der Angeklagte tickt

„Seine Bedürfnisse hat er über alles gestellt“, fasst die psychiatrische Sachverständige Hildegard Müller zusammen. Über alles – das heißt über alle Regeln, Werte, auch über das Leben und die Gesundheit anderer Menschen. Rund 300 Seiten umfasst Müllers schriftliches Gutachten, und es lässt in einen sehr tief menschlichen Abgrund blicken. Im Jahr 2019 kann niemand sagen, wie sich dieser Angeklagte in der Haft entwickeln wird. Die Bestandsaufnahme ist schonungslos. Müller diagnostiziert eine „dissoziale Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten psychopathischen Zügen“. Der Angeklagte sei voll schuldfähig, vor allem sei er gefährlich. Schwere Sexual- und Gewaltstraftaten seien zu erwarten. Man habe es mit einem Angeklagten zu tun, dem Schuldbewusstsein fremd sei. Schuld für seine Verbrechen schiebe er Anderen zu, auch dem Opfer Susanna. Sie hätte ja nicht mitgehen müssen in jener Nacht.
Schuldbewusstsein fehle, dafür seien im Übermaß der Empathiemangel und das Selbstmitleid ausgeprägt, erläutert Müller.

„Ich hab‘ doch nur ein Mädchen totgemacht“

Ihre Beispiele sorgen unter den Prozesszuhörern für Diskussionen. Der Untersuchungsgefangene lamentierte Müller gegenüber darüber, dass der Fernseher in der Zelle nur 23 Programme empfange, das Brot in der Gefangenenverpflegung schlecht sei, die Käsescheiben als Belag zu knapp bemessen seien und überhaupt – wann er denn mal Urlaub kriege und rausgehen könne? Das habe den Mann in den Gesprächen, die sie mit ihm führte, außerordentlich beschäftigt, mehr wie die ihm zur Last gelegten Verbrechen. Zum Selbstmitleid zählt auch, dass sich der Iraker im Gefängnis „wie ein Hund“ behandelt fühlt. Er verstehe nicht, warum er so behandelt werde – „ich hab‘ doch nur ein Mädchen totgemacht“. Das Töten habe er „kühl und sachlich“ geschildert. Ein hochgradig Ich-Bezogener sei dieser Angeklagte, der zudem sehr manipulativ auftrete, und das auch in der Untersuchungshaft an den Tag lege. Im Irak, so schildert er, wäre er längst schon ein freier Mann. Dort hätte man ihn längst mit Geld frei gekriegt. Und das, was die Anklage einen Mord nennt, umschreibt er so: „Ali hat Scheiße gebaut“. Sein Lebensstil sei „parasitär“ gewesen, er habe andere Menschen nur be- und ausgenutzt, sagt Müller.  Seine Freundinnen eingeschlossen.  Sein Leben sei dem „Lustprinzip“ gefolgt – langes Ausschlafen, in der Stadt herumhängen, Alkohol, Kiffen, Mädchen. Er sei fixiert gewesen auf junge Mädchen, auf Jungfrauen. Das mache ihm mehr Spaß, meinte der Iraker. Er sei immer auf der Suche nach jungen Mädchen gewesen. Zum Frauenbild des Irakers generell führt die Sachverständige aus: Nach dessen Vorstellung müsse eine „gute“ Frau putzen, kochen, sie gehe nicht alleine auf die Straße, rede auch nicht mit anderen Männern. Und natürlich Jungfrau sein. Müller sagt auch, dass dieser Angeklagte „kein Flüchtling ist, der eine traumatische Fluchterfahrung erlebt hat“. In Ferndiagnosen hatten „Experten“ nach dem Verbrechen – freilich ohne Wissen um die konkreten Umstände dieses Einzelfalles – eine solche Traumatisierung als mögliche Erklärung für das Abgleiten des Irakers in die Kriminalität herangezogen. Reine Spekulation im Gewand von angeblichem Wissen.

Es gab kein ernst zu nehmendes Wort des Bedauerns darüber, was Sie Susanna angetan haben.

Jürgen BonkVorsitzender Richter

Lebenslang und noch etwas mehr

„Ich bin bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen“, sagt der Angeklagte in seinem obligatorischen letzten Wort. Er sei bereit, diese Strafe „bis zum letzten Tag abzusitzen“. Als das Gericht am Vormittag des 10. Juli 2019 das Urteil verkündet, lässt sich nicht absehen, wann dieser „letzte Tag“ des Verbüßens bei einem rechtskräftigen Urteil sein könnte. Das Gericht verhängt eine lebenslange Freiheitsstrafe, stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordnet den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung für den jetzt 22-Jährigen an. Juristen meinen, dass im konkreten Fall das Absitzen 25 Jahre dauern könnte.  Erst einmal müsste das Urteil rechtskräftig werden. Die Verteidigung hat das Rechtsmittel der Revision eingelegt, der Bundesgerichtshof soll die Wiesbadener Entscheidung auf Rechtsfehler hin überprüfen.

Lebenslang, Schwere der Schuld, Vorbehalt der Sicherungsverwahrung – das hatte auch Staatsanwältin Sabine Kolb-Schlotter in ihrem sehr detaillierten und umfangreichen gefordert. Nichts anderes, so die Staatsanwältin, könne das Urteil für diesen „kaltblütig“ verübten Mord sein, mit dem die Vergewaltigung Susannas verdeckt werden sollte. Im Urteil einbezogen ist ein schwerer Raub, gefährliche Körperverletzung und Nötigung. Das Opfer war ein junger Algerier im Wiesbadener Kurpark. Die Verteidigung hatte auf einen konkreten Strafantrag verzichtet, und ausgeführt, dass der Iraker nach ihrer Einschätzung  Reue gezeigt habe. Von Reue könne keine Rede sein, sagt Vorsitzender Richter Jürgen Bonk in seiner mündlichen Urteilsbegründung. „Es gab kein Ernst zu nehmendes Wort des Bedauerns darüber, was Sie Susanna angetan haben.“

Mordmerkmale seien Heimtücke und die Verdeckung der Vergewaltigung Susannas.

Schuld und Verantwortung habe dieser Angeklagte verlagert, auf „Scheiß-Deutschland“, wie er klagte, auf einen Kurden, der ihn angeblich vor dem Verbrechen „besoffen“  gemacht haben soll und schließlich auch noch auf Susanna, weil die – unter welchen Umständen auch immer – mit ins Feld gegangen sei.  Aus Sicht des Gerichts eine der wenigen offenen Fragen. Mordmerkmale seien Heimtücke und die Verdeckung der Vergewaltigung Susannas. Rund zweieinhalb Stunden dauert die mündliche Urteilsbegründung. „Sie wollten dieses Mädchen, um es einfach zu benutzen“, fasst Bonk Ergebnisse der Beweisaufnahme zusammen. An jenem 22. Mai 2018 habe der Iraker eine Chance, das von ihm seit Wochen schon beharrlich verfolgte Ziel zu erreichen – Sex mit der unerfahrenen Susanna. Anfang Mai hatte Ali das Mädchen im Feld bei Erbenheim schon einmal sexuell bedrängt. Seither hatte Susanna Angst vor ihm. „Manipulativ“ habe der Angeklagte am Abend des 22. Mai eine für ihn günstige Gelegenheit herbeigeführt, um in der Nacht mit der 14-Jährigen allein sein zu können. Irgendwann im Feld. „Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, was es für ein 14-jähriges Mädchen bedeutet haben muss“, sagt Bonk. Er meint Susannas Verzweiflung und das Gefühl, ausgeliefert zu sein. „Die Lage war schlicht hoffnungslos.“ Diese Lage habe der Täter „bewusst geschaffen“. Und es passe zu dem Mädchen, dass es die Vergewaltigung nicht einfach habe hinnehmen wollen. Weil Susanna  sagte, dass sie zur Polizei gehen werde, habe der junge Iraker die Entscheidung getroffen, das Mädchen zu töten. Und das sei Ausdruck seiner „menschenverachtenden Grundeinstellung“.

  • Lebenslange (Gesamt)freiheitsstrafe
  • Besondere Schwere der Schuld
  • Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten

Im zivilrechtlichen sogenannten Adhäsionsverfahren wurde dem Angeklagten auferlegt, je 50.000 Euro an die Mutter und die Halbschwester Susannas zu zahlen. Beide waren im Prozess Nebenklägerinnen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger haben das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird sich mit dem Fall zu befassen haben. Revision heißt: Das Urteil der Wiesbadener Richter wird auf mögliche Rechtsfehler überprüft.

Die weiteren Kapitel:


Impressum:

Autor: Wolfgang Degen
Co-Autor: Nicholas Steinberg
Redaktionelle Mitarbeit: Alexandra Maus
Grafik & Layout: Anne Porth
Chefredaktion: Stefan Schröder (verantwortlich)


Namensnennung und Fotos

Im konkreten Fall hat sich die Redaktion nach dem Abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse und den Persönlichkeitsrechten des Angeklagten für eine identifizierende Berichterstattung entschieden: Der Name des Angeklagten wird genannt, sein Foto unverfremdet gezeigt. Dieses Vorgehen soll bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung des jungen Mannes beibehalten werden. Die Voraussetzungen für eine zulässige identifizierende Berichterstattung sind in seinem Fall gegeben. Beim Opfer Susanna zeigen wir das Foto, so lange der Fall noch so präsent ist, nennen aber nur den Vornamen des Mädchens.